Mund- Kiefer- Gesichtschirurgie

Schmerzanfälle im Ausbreitungsgebiet eines oder mehrerer Trigeminusäste ohne Ausfallserscheinungen.

Idiopathische Trigeminusneuralgie

Die Ursache ist unklar. Vermutet werden Veränderungen im Ganglion Gasseri, wie Durchblutungsstörungen, sklerosierende Prozesse, Duraverspannungen und vegetative Störungen. Im Ganglion werden Degenerationen der Ganglienzellen und Veränderungen an den Markscheiden gefunden.

Symptomatik:

Die idiopathische Trigeminusneuralgie tritt bei Frauen wesentlich häufiger auf als bei Männern; meistens sind Patienten im mittleren und höheren Lebensalter betroffen:

Blitzartig einschießende Schmerzattacken, die in der Regel den 2. oder 3. Ast einseitig befallen und einige Sekunden oder Minuten dauern. Diese Anfälle werden nicht selten durch Berührung bestimmter Stellen (Triggerzonen) im Gesicht, am Kopf oder im Bereich der Mundhöhle, aber auch durch Sprechen, Kauen, Schlucken, Husten, Niesen und Pressen ausgelöst. Ferner treten während der Anfälle Hautreizungen, Tränen- und Speichelfluss sowie Pupillenerweiterung auf.

Die Nervenaustrittsstelle des befallenen Nervenastes ist nicht selten druckempfindlich.

Differenzialdiagnose:

  • Sluder-Neuralgie (Neuralgie des Ganglion pterygopalatinum): Gaumen, Oberkiefer, Tonsille, Auge, Ohr, Felsenbein.
  • Neuralgie des N. intermedius (Hunt): Ohr, Nasenrachenraum, weicher Gaumen.
  • Neuralgie des N. glossopharyngeus: Rachen, Ohr, Nacken.
  • Neuralgie des Ganglion ciliare (Charlin-Neuralgie): Innerer Augenwinkel, Nasenrücken, Lider.
  • Neuralgie der sensiblen Fasern des N. facialis: Ohrgegend.
  • Costen-Syndrom: Bei Kiefergelenkerkrankungen (siehe Arthrosis deformans).
  • Symptomatische Neuralgie (s. unten).
  • Neuralgiforme Schmerzen bei Herpes zoster und Trigeminusneuritis (s. unten).
  • Kopfschmerzen bei Augenleiden, Entzündungen der Nasennebenhöhlen, Morbus Paget, Arteriitis temporalis, Arthrose der Halswirbelsäule, intrakranielle Prozesse (Tumor, Hirndruck, -abszess, -blutung), Migräne, Morbus Méniére, Commotio und Contusio cerebri.
  • Psychogene Kopfschmerzen.

Therapie:

  • Medikamentöse Behandlung:

    - Carbamazepin (Tegretal) 3 x tgl. 200 - 400 mg.

    - Nach 3 bis 4 Wochen langsame Reduktion auf 2 x (oder 1 x) 200 mg tgl.

    - Nach einigen Monaten versuchsweise absetzen, da Remission möglich.

    - Bleibt der Erfolg nach der Medikation von Carbamazepin aus, so sollte auf:

    - Diphenylhydantoin (Epanutin, Phenhydan, Zentropil) 2 - 6 x tgl. 100 mg ausgewichen werden, gegebenenfalls in Kombination mit Carbamazepin oder mit einem Phenothiazin-Präparat.

    - Leitungsanästhesie am betroffenen Nervenast mit Dodecatol  (2,5%iges Procain mit 0,5 mg Vitamin B 12 pro ml) oder mit dem Langzeitlokalanästhetikum Carbostesin (0,5%iges Bupivacain).
  • Leitungsunterbrechung peripherer Nervenäste:
    Führt die konservative Therapie nicht zum Erfolg, so kommt eine Leitungsunterbrechung in Frage, die allerdings eine Anästhesie in dem Ausbreitungsgebiet des betroffenen Nervs zur Folge hat.
    Voraussetzung für eine erfolgreiche Leitungsunterbrechung ist, dass eine Leitungsanästhesie an dem betroffenen peripheren Nervenast (N. mandibularis, N. lingualis, N infraorbitalis oder N. supraorbitalis) während eines Schmerzanfalls zu einer Schmerzfreiheit geführt hat. Für die Dauer der Lokalanästhesie dürfen auch keine Schmerzanfälle auslösbar sein.

    - Glycerin-Blockade:
    Früher wurde 80%iger Alkohol in den Nerv injiziert. Heute verwendet man auf 40° erwärmtes Glycerin. Folgende Injektionen können vorgenommen werden:
    • Foramen infraorbitale,
    • Foramina supraorbitalia,
    • Foramen rotundum,
    • Foramen ovale.

- Die Neurexhairese kann am Foramen mandibulare, im dorsalen Anteil des Mundbodens (N. lingualis) sowie am Foramen infraorbitale und am oberen Orbitarand (N. supraorbitalis) vorgenommen werden. Der Nerv wird mit einer Klemme gefasst und durch Drehbewegung aufgewickelt, bis er zentral und peripher abreißt. An der Abrissstelle bildet sich ein Amputationsneurom. Bei der Neurexhairese am Foramen mandibulare soll der Nerv zentral scharf durchtrennt werden, damit das Ganglion Gasseri nicht irritiert wird.

Rezidive können sowohl nach Glycerin-Blockade durch Regeneration des Nervs als auch nach Neurexhairese durch das Amputationsneurom oder durch Erkrankung des Nervs zentral von der Unterbrechungsstelle auftreten.

  • Zentrale neurochirurgische Eingriffe:
    Eine Weiterentwicklung der neurochirurgischen Operationsverfahren hat in den vergangenen Jahren mit Erfolgsquoten von 60 bis 80 % und einer Vermeidung des postoperativen Sensibilitätsausfalls zu einer deutlichen Verbesserung der Ergebnisse und damit zu einer Einschränkung der Indikation für die peripheren Leitungsunterbrechungen geführt:

    • Die Glycerin-Blockade kann auch durch Injektion in die Zisterne des Ganglion Gasseri vorgenommen werden (Hakanson). Die Erfolgsquote wird mit 60 bis 70 % angegeben. Das Verfahren ist bei einem Rezidiv wiederholbar.
    • Bei der Thermokoagulation (Sweet) wird mit einer Thermosonde in das Ganglion Gasseri eingegangen und drei Minuten lang eine Temperatur von 75° erzeugt, wodurch eine Schmerzfreiheit bei erhaltener Sensibilität erzeugt werden kann. Die Erfolgsquote beträgt 70 bis 80 %. Im Bedarfsfall kann der Eingriff wiederholt werden.
    • Die Dekompression der hinteren Trigeminuswurzel (Janetta) ist ein mikrochirurgisches Verfahren mit einer Erfolgsquote von 70 bis 80 % und ohne postoperative Sensibilitätsausfälle.

Atypische Neuralgien (symptomatische Formen)

Ursachen:

Zahn- und Kiefererkrankungen, wie Pulpitis, Dentikel, marginale und apikale Parodontitis, Wurzelreste, postoperative Infektionen, Wundheilungsstörungen, Alveolitis, Osteomyelitis, scharfe Knochenkanten, verlagerte Zähne, Zysten, Tumoren, Knochen- und Weichteilentzündungen, narbige Verziehungen des N. infraorbitalis nach Kieferhöhlenoperation, Amputationsneurome, Nervenläsionen nach Kieferfrakturen, Kiefergelenkschmerzen (Costen-Syndrom), u.a. pathologische Prozesse.

Symptomatik:

In der Regel Dauerschmerz, der sich nicht genau auf das Ausbreitungsgebiet eines Nervs konzentriert, sondern in einer von diesem unabhängigen Schmerzzone lokalisiert ist.

Differenzialdiagnose: S. Idiopathische Trigeminusneuralgie.

Therapie:

  • Beseitigung aller möglichen Ursachen, die eine atypische Neuralgie auslösen können.
  • Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS).
  • Medikamentöse Therapie mit Carbamazetin (Tegretal), gegebenenfalls in Kombination mit Baclofen.