Mund- Kiefer- Gesichtschirurgie

Die Aktinomykose ist eine Mischinfektion. Haupterreger ist der in der Mundhöhle als Saprophyt vorkommende Actinomyces israeli, ein zwischen Pilzen und Bakterien einzuordnender, nur unter Sauerstoffabschluss anaerob wachsender Strahlenpilz, der im Gewebe rundliche Kolonien mit radiärer strahlenartiger Anordnung, sogenannte Drusen, bildet. Der Strahlenpilz besitzt keine gewebsaufschließenden Fermente (Hyaluronidasen) und ist daher für eine Infektion auf die Mitwirkung anderer, teils aerob, teils anaerob wachsender Keime angewiesen.

Begleitkeime sind Actinobacillus actinomycetem comitans und unspezifische Eitererreger, insbesondere Staphylokokken sowie Anaerobier.

Eintrittspforten sind – wie bei unspezifischen Infektionen – in erster Linie kariöse devitale Zähne, aber auch marginale Entzündungen und Verletzungen.

Symptomatik der klinischen Formen

Primär chronische Aktinomykose:

Tritt im wenig vaskularisierten sauerstoffarmen Subkutanbereich vorwiegend in der Umgebung des Unterkiefers als umschriebene, wenig schmerzhafte Infiltration auf, die eitrig einschmelzen (subkutaner Abszess) und nach Durchbruch durch die Haut zur Fistel werden kann. Die äußerst selten vom Oberkiefer ausgehenden Prozesse sind im oberen Wangenbereich lokalisiert.

Das Krankheitsbild unterscheidet sich zunächst nicht von einer chronischen unspezifischen Infektion. Nach Beseitigung der Ursache durch Extraktion des betroffenen Zahnes und Abszessinzision heilt der Entzündungsprozess jedoch bei aktinomykotischer Mischinfektion nicht ab, sondern es treten in der Umgebung weitere subkutane Infiltrate und Abszesse auf.

Es können bereits im Frühstadium mehrere Infiltrate und Abszesse nebeneinander vorkommen. Mitunter lässt die eitrige Einschmelzung eines Infiltrats lange Zeit auf sich warten.

Wird die Aktinomykose nicht behandelt, so treten weitere Infiltrate und subkutane Abszesse auf. Durch Vernarbung entsteht eine brettharte Schwellung und Fältelung der befallenen Hautregion mit blau-livider Verfärbung.

In der Zunge kommt gelegentlich ein nicht odontogenes aktinomykotisches Infiltrat ohne Einschmelzungstendenz vor, das als Aktinomykom bezeichnet wird.

Primär-akute (sekundär-chronische) Aktinomykose: Das Krankheitsbild, das anfangs allein von der Begleitflora geprägt wird, gleicht einer akuten unspezifischen odontogenen Infektion. Nach deren Behandlung kommt es jedoch nicht zu einer Abheilung, es entwickelt sich vielmehr die oben beschriebene chronische Form der Aktinomykose mit subkutanen Abszessen und Fisteln.

Aktinomykotische Osteomyelitis: Vorwiegend im Unterkiefer als chronische Osteomyelitis, die sich von der unspezifischen Knochenentzündung dadurch unterscheidet, dass weniger Sequester gebildet werden und die produktive Phase mit Knochenneubildung stärker ausgeprägt ist, wobei tumorartige Auftreibungen des Unterkiefers auftreten können. Zusätzlich findet man intra- und extraorale Fisteln sowie die auch bei der Weichteilaktinomykose vorkommenden Veränderungen.

Aktinomykom des Knochens: Tumorartige Knochenauftreibung durch zystenartige Höhlen, die ein kaum zur Einschmelzung neigendes aktinomykotisches Granulationsgewebe enthalten und im peripheren Bereich reaktive Knochenbildung aufweisen. Vergrößerung der regionären Lymphknoten; keine entzündliche Veränderung der Haut.

Aktinomykose der Speicheldrüsen: Eindringen der Keime über den Ausführungsgang. Wie bei unspezifischer Infektion entsteht eine Sialoadenitis (siehe Entzündungen der Speicheldrüsen), die sich bei längerem Bestehen in die subkutane Schicht ausbreitet, wobei das typische Bild einer Weichteilaktinomykose entsteht.

Diagnostik:

Ein klinischer Verdacht besteht bei allen chronisch-entzündlichen subkutanen Infiltraten und Abszessen und bei akut beginnenden Prozessen, die nach Inzision und Beseitigung der Ursache nicht abheilen.

Zum Nachweis einer Aktinomykose ist eine bakteriologische Untersuchung des Eiters, der unter sterilen Kautelen von extraoral entnommen werden muss, erforderlich.

Bei Infiltraten, die keine Einschmelzungstendenz aufweisen, kann nicht selten durch eine hyperämisierende Wärmebehandlung, am besten durch Jodiontophorese (s. später), eine Eiterbildung provoziert werden.

Bei Einsendung der Eiterprobe muss darauf hingewiesen werden, dass eine Aktinomykose vorliegen könnte, damit in einem besonderen anaeroben Kulturverfahren festgestellt werden kann, ob dieser Verdacht zutrifft.

Das in der Zunge und im Knochen vorkommende Aktinomykom wird in der Regel für einen Tumor gehalten. Hier ist eine Probeexzision mit histologischer Untersuchung des Gewebes erforderlich.

Therapie:

  • Extraktion des als Eintrittspforte fungierenden Zahnes.
  • Inzision vorhandener Abszesse mit zusätzlicher Exkochleation von nekrotischem Gewebe und ausreichender Drainage.
  • Ausspülen der Abszesshöhlen mit 3%iger Wasserstoffsuperoxidlösung am Ende der Operation und während der täglichen Nachbehandlung zur Sauerstoffanreicherung im Gewebe.
  • Jodiontophorese: Durch einen galvanischen Strom (4 - 6 mA) werden Jodionen einer 10%igen Jodkalilösung 20 Minuten lang in das entzündlich veränderte Gewebe eingebracht, wodurch eine Hyperämie und damit eine bessere Sauerstoffversorgung erzielt wird. Die Behandlung wird täglich vorgenommen, bis die entzündlichen Erscheinungen abgeklungen sind, was etwa zwei Wochen, in hartnäckigen Fällen aber auch mehrere Wochen oder gar Monate dauern kann.
  • Eine Antibiotikatherapie ist besonders bei primär akuter Aktinomykose angezeigt. Aktinomyzeten sind penicillinempfindlich, bezüglich der Begleitflora ist jedoch ein Antibiogramm erforderlich. Zur besseren Antibiotikawirkung sollte parallel immer eine hyperämiesierende Jodiontophoresebehandlung stattfinden.
  • In hartnäckigen verschleppten Fällen chirurgische Abtragung der blau-livide verfärbten Hautdecke über den Granulationen, wobei eine große Wundfläche entsteht. Diese soll über die freie Granulation abheilen, wodurch das anaerobe Wachstum der Aktinomyzeten behindert wird. Eine vermehrte keloidartige Narbenbildung bei der Abheilung, die eine spätere Narbenkorrektur erforderlich macht, muss dabei in Kauf genommen werden.
  • Die aktinomykotische Osteomyelitis und das Aktinomykom des Knochens werden durch Osteotomie mit Exkochleation des erkrankten Gewebes mit anschließender offener Wundbehandlung durch Tamponade und täglichen Spülungen der Knochenhöhle mit Wasserstoffsuperoxidlösung behandelt.
Aktinomykose nach Extraktion 36, 37
Aktinomykose nach Extraktion 36, 37
Hartnäckige Aktinomykose, ausgehend von 46
Hartnäckige Aktinomykose, ausgehend von 46
Hartnäckige Aktinomykose, ausgehend von 46
Hartnäckige Aktinomykose, ausgehend von 46