Mund- Kiefer- Gesichtschirurgie

Bindegewebig-narbige oder knöcherne Verwachsung im Bereich eines Gelenks nach Verlust der knorpligen Gelenkflächen und des Diskus. Der Muskelfortsatz kann in die Ankylose des Kiefergelenkbereiches einbezogen werden. Auch eine isolierte Ankylose zwischen Muskelfortsatz und Jochbogen ist möglich.

Ursachen:

  • Nach Kollum- und Kondylusfrakturen.
  • Nach Entzündungen, wie Osteomyelitis des aufsteigenden Astes, Arthritis und Otitis media mit Einbruch ins Kiefergelenk.
  • Bei Säuglingen und Kleinkindern entwickelt sich nach Frakturen und Entzündungen der Gelenkregion eine Ankylose wesentlich häufiger, weil in diesem Alter die osteogenetische Potenz bedeutend größer und die Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit erheblich geringer ist als bei Erwachsenen.
  • Nach rheumatischen Erkrankungen (Gelenkrheuma, Morbus Bechterew) werden gelegentlich Ankylosen beobachtet.
  • Die isolierte Ankylose des Muskelfortsatzes mit dem Jochbogen ist traumatisch bedingt.

Symptomatik:

Bei der knöchernen Ankylose ist der Unterkiefer in zentraler Okklusion fixiert, während die bindegewebige Ankylose eine geringe Öffnung der Zahnreihen – oft nur wenige Millimeter – zulässt.

Bei Erwachsenen gibt es auch leichtere Formen mit einer Schneidekantendistanz (SKD) von 10 bis 20 mm.

Die Ankylose kann einseitig oder doppelseitig auftreten.

Je stärker die Kieferklemme ausgeprägt ist, um so schwieriger wird die Zahnreinigung. Dementsprechend hoch ist der Kariesbefall. Hinzu kommt, dass die zahnärztliche Behandlung infolge der Kieferklemme erschwert ist.

Das Unterkieferwachstum wird durch die Ankylose behindert. Im Wachstumsalter kommt es daher bei unbehandelter Ankylose zu einer Unterentwicklung des Unterkiefers mit zurückliegendem Kinn, die als Vogelgesicht bezeichnet wird. Bei einseitiger Ankylose ist das Kinn asymmetrisch zur kranken Seite verschoben, bei doppelseitiger Ankylose ist der Unterkiefer symmetrisch verkürzt.

Auf den Röntgenbildern (Panoramaschichtaufnahme, Schädel p.a.) erkennt man die knöcherne Verbindung mit der Schädelbasis. Bei bindegewebiger Ankylose ist meistens ein schmaler Spalt dargestellt. Im Computertomogramm können die topographischen Verhältnisse ebenfalls dargestellt werden.

Das Vogelgesicht wird durch eine Fernröntgenaufnahme und eine p.a. Schädel-Aufnahme dargestellt.

Bei der Ankylose des Processus muscularis ist eine knöcherne oder narbige Verbindung mit dem Jochbogen vorhanden.

Differenzialdiagnose:

Bei bindegewebiger Ankylose: Kieferklemme bei Arthritis und Arthrosis deformans. Muskulär bedingte Narbenkontrakturen nach Verletzungen, Oberkieferresektionen, Abszessen im Bereich der Kaumuskeln und Myositis ossificans.

Bei knöcherner Ankylose ist der Befund eindeutig.

Therapie:

Vorgehen bei einseitiger Ankylose:

  • Zwischen Schädelbasis und ankylosiertem Gelenkfortsatz wird ein Spalt von etwa 1,5 cm Breite geschaffen. Das Ende des Gelenkfortsatzes wird abgerundet; es darf nicht größer sein als ein normaler Gelenkkopf.
  • In den Spaltraum zwischen den Knochenwundflächen wird eine doppelte Silastikfolie eingelagert. Dieser gewebefreundliche Kunststoff induziert die Ausbildung einer Bindegewebskapsel auf den Knochenwundflächen.
  • Anlegen einer Saugdrainage zur Vermeidung eines Hämatoms.
  • Intermaxilläre Fixation mit Ernstschen Ligaturen (siehe Grundsätze der Frakturbehandlung im Kieferbereich) zur Vermeidung einer Verschiebung der Silastikfolie.

Nachbehandlung:

  • Entfernung der intermaxillären Fixation nach acht Tagen.
  • Mundöffnungsübungen mit übereinander gestapelten Holzspateln, die nacheinander eingeschoben werden oder mit einer Kieferspreize.
  • Entfernung der Silastikfolie nach drei Monaten.
  • Anschließend weitere Mundöffnungsübungen. Es sollte eine Mundöffnungsmöglichkeit von 30 mm SKD erreicht werden.

Vorgehen bei doppelseitiger Ankylose:

  • Damit der Unterkiefer nach der doppelseitigen Abtrennung von der Schädelbasis nicht nach dorsal abrutscht, müssen die aufsteigenden Äste durch die Einlagerung von Sialastikblöcken gegen die Schädelbasis abgestützt werden.
  • Der mobilisierte Unterkiefer wird in leichte Vorbissstellung gebracht und durch einen Schienenverband mit intermaxillären Ligaturen fixiert. Der Spaltraum zwischen den Knochenwundflächen wird auf jeder Seite mit einem zurechtgeschnitzten Silastikblock ausgefüllt.
  • Anlegen von Saugdrainagen auf beiden Seiten.

Nachbehandlung:

  • Entfernung des Schienenverbandes nach acht Tagen.
  • Mundöffnungsübungen.
  • Eingliederung eines Aktivators, der die Okklusion sichert und den Patienten zwingt, den Mund zum Einsetzen und Herausnehmen weit zu öffnen.

Entfernung der Silastikblöcke nach drei Monaten und Ausfüllung der Spalträume mit Rippenknorpel. Bei breiteren Defekten werden Rippensegmente von der Knorpel-Knochen-Grenze eingelagert, wobei das knorplige Ende schädelwärts gerichtet ist. Die Fixation der Transplantate an den aufsteigenden Ästen erfolgt durch Zugschraubenosteosynthese (siehe Frakturen des Unterkiefers).

Nachbehandlung:

  • Weitere Mundöffnungsübungen.
  • Kieferorthopädische Kontrollen und gegebenenfalls Behandlung. 

Ankyloseoperation mit Einlagerung eines Temporalislappens:

  • Bei diesem Verfahren wird der Spaltraum zwischen Schädelbasis und aufsteigendem Unterkieferast mit einem Lappen des M. temporalis ausgefüllt. Das Verfahren kann angewandt werden, wenn z.B. eine Allergie gegen Silastik oder andere Kunststoffe besteht.
  • Durchtrennung der Ankylose (siehe oben).
  • Osteotomie und temporäre Entfernung des Jochbogens.
  • Umschneidung und Mobilisation eines dorsalen, unten gestielten Temporalislappens, der den Muskel in voller Dicke mit der oberflächlichen Faszie und dem Periost der Schädelkalotte sowie die A. temporalis profunda posterior enthält.
  • Der Lappen wird nach unten umgeklappt und zwischen die Knochenwundflächen eingelagert. Er liegt dann der Innenseite des aufsteigenden Astes an und verhindert einen direkten Kontakt der Knochenwundflächen.
  • Reposition des temporär resezierten Jochbogens und Fixation durch Miniplattenosteosynthese (siehe Mittelgesichtsfrakturen).
  • Anlegen einer Saugdränage.
  • Intermaxilläre Fixation.

Nachbehandlung:

  • Entfernung der intermaxillären Fixation nach acht Tagen.
  • Mundöffnungsübungen.
  • Aktivator.
Bindegewebige Ankylose des rechten Kiefergelenks bei einem 12-jährigen Mädchen
Bindegewebige Ankylose des rechten Kiefergelenks bei einem 12-jährigen Mädchen
Mundöffnungsmöglichkeit vor und nach der Operation
Mundöffnungsmöglichkeit vor und nach der Operation
Mundöffnungsmöglichkeit vor und nach der Operation
Mundöffnungsmöglichkeit vor und nach der Operation
Gelenksituation vor und nach der Ankyloseoperation
Gelenksituation vor und nach der Ankyloseoperation
Gelenksituation vor und nach der Ankyloseoperation
Gelenksituation vor und nach der Ankyloseoperation

Vorgehen bei einseitiger Ankylose und Vogelgesicht:

  • Ermittlung der neu einzustellenden Okklusion durch Modelloperation. Anfertigung eines Bissschlüssels für die Operation.
  • Durchtrennung der Ankylose.
  • Ablösung der Muskulatur vom aufsteigenden Ast über submandibulären Zugang.
  • Vorbringen des Unterkiefers in leichte Vorbissstellung. Dabei wird das gesunde Gelenk in der Gelenkpfanne etwas gedreht.
  • In Extremfällen sollte auf die Drehung des Gelenks verzichtet werden und statt dessen eine sagittale Spaltung des Unterkiefers (siehe Mandibuläre Prognathie) auf der gesunden Seite vorgenommen werden.
  • Einstellung der ermittelten Okklusion mit Hilfe des Bissschlüssels. Intermaxilläre Fixation der Unterkiefers durch Schienenverbände.
  • Einlagerung eines Silastikblocks zur Abstützung an der Schädelbasis, der gegebenenfalls bis zum Kieferwinkel reicht und durch Plattenosteosynthese am aufsteigenden Unterkieferast fixiert werden muss.
  • Anlegen einer Saugdrainage.

Nachbehandlung:

  • Entfernung der Schienenverbände nach acht Tagen, Mundöffnungsübungen, Aktivator.

Nach drei Monaten wird der Silastikblock entfernt und durch ein Rippentransplantat von der Knorpel-Knochen-Grenze ersetzt.

Nachbehandlung:

  • Weitere Mundöffnungsübungen, kieferorthopädische Kontrolle und gegebenenfalls Behandlung.
Einlagerung eines Silastikblocks bei der Ankyloseoperation zur Abstützung des Unterkiefers
Einlagerung eines Silastikblocks bei der Ankyloseoperation zur Abstützung des Unterkiefers
Ersatz des Silastikblocks durch ein Knorpel-Knochen-Transplantat vom Rippenbogen
Ersatz des Silastikblocks durch ein Knorpel-Knochen-Transplantat vom Rippenbogen

Vorgehen bei doppelseitiger Ankylose mit Vogelgesicht:

  • Ermittlung der neu einzustellenden Okklusion durch Modelloperation. Anfertigung eines Bissschlüssels für die Operation.
  • Durchtrennung der Ankylosen auf beiden Seiten.
  • Ablösung der Muskulatur im Bereich der aufsteigenden Äste über submandibuläre Zugänge.
  • Vorbringen des mobilisierten Unterkiefers und Einstellung in die ermittelte Okklusion mit Hilfe des Bissschlüssels. Intermaxilläre Fixation der Unterkiefers durch Schienenverbände.
  • Einlagerung von Silastikblöcken hinter den aufsteigenden Unterkieferästen die von der Schädelbasis bis zu den Kieferwinkeln reichen und durch Plattenosteosynthese fixiert werden.
  • Anlegen von Saugdrainagen.

Nachbehandlung:

  • Entfernung der Schienenverbände nach acht Tagen, Mundöffnungsübungen, Aktivator.

Nach drei Monaten werden die Silastikblöcke entfernt und entweder durch Rippentransplantate von der Knorpel-Knochen-Grenze oder durch Beckenkammtransplantate ersetzt.

Nachbehandlung:

  • Weitere Mundöffnungsübungen, kieferorthopädische Kontrolle und gegebenenfalls Behandlung.


Alternatives Vorgehen bei doppelseitiger Ankylose mit Vogelgesicht:

  • Operation der Ankylose auf beiden Seiten mit Einlagerung von Silastikfolie oder Silastikblöcken.
  • Mundöffnungsübungen, Aktivator.
  • Nach Mobilisation des Unterkiefers auf eine SKD von etwa 30 mm Kallusdistraktion im Bereich der aufsteigenden Äste (siehe Maxilläre Retrognathie).
  • Weitere Mundöffnungsübungen.
  • Kieferorthopädische Korrektur der Okklusion. 

Es wurden auch Kiefergelenkprothesen aus Metall (Spiessl) oder Aluminiumoxidkeramik (Frenkel und Mitarbeiter) während der Ankyloseoperation zur Abstützung des Unterkiefers eingelagert und mit Schrauben an den aufsteigenden Ästen fixiert. Diese Endoprothesen waren als Dauerersatz gedacht; längere Erfahrungen wurden nicht publiziert.

Vorgehen bei Ankylose des Processus muscularis:

  • Durchtrennung der Ankylose zwischen dem Jochbogen und dem Muskelfortsatz.
  • Mundöffnungsübungen.
Breite Ankylose des Kiefergelenks und des Processus muscularis mit Hypoplasie des Unterkiefers (Vogelgesicht)
Breite Ankylose des Kiefergelenks und des Processus muscularis mit Hypoplasie des Unterkiefers (Vogelgesicht)
Vogelgesicht bei doppelseitiger knöcherner Ankylose
Vogelgesicht bei doppelseitiger knöcherner Ankylose
Vogelgesicht bei doppelseitiger knöcherner Ankylose
Vogelgesicht bei doppelseitiger knöcherner Ankylose
Hypoplasie des Unterkiefers bei kompletter beidseitiger Ankylose der Gelenk- und Muskelfortsätze
Hypoplasie des Unterkiefers bei kompletter beidseitiger Ankylose der Gelenk- und Muskelfortsätze
Situation nach Durchtrennung der Ankylosen, Vorverlagerung des Unterkiefers und Abstützung durch Silastikimplantate, die nach drei Monaten durch Beckenkammtransplantate ersetzt wurden
Situation nach Durchtrennung der Ankylosen, Vorverlagerung des Unterkiefers und Abstützung durch Silastikimplantate, die nach drei Monaten durch Beckenkammtransplantate ersetzt wurden
Optimale Okklusion und Mundöffnungsmöglichkeit nach Abschluss der Behandlung
Optimale Okklusion und Mundöffnungsmöglichkeit nach Abschluss der Behandlung
Ankylose des Processus muscularis nach Schussverletzung
Ankylose des Processus muscularis nach Schussverletzung
Ankylose des Processus muscularis nach Schussverletzung
Ankylose des Processus muscularis nach Schussverletzung