Ätiologie:
Wachstumshemmung des Oberkiefers bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten, hier vorwiegend operationsbedingt (siehe Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten), sowie nach vorzeitiger Zahnentfernung und Zahnunterzahl im Oberkiefer.
Maxilläre Retrognathien können auch erblich bedingt sein. Ferner kommen sie bei der Dysostosis cranio-facialis (Crouzon, siehe Kraniofaziale Fehlbildungen) und bei der Akrozephalosyndaktylie (Apert, siehe Kraniofaziale Fehlbildungen) vor.
Daneben gibt es traumatisch entstandene Retrognathien bei unzureichender Behandlung einer Oberkieferfraktur (siehe Lokale Komplikationen und Spätschäden).
Symptomatik:
Mikrognathie in Kombination mit einer Hypoplasie des Mittelgesichts oder Rücklage des Oberkiefers nach Trauma. Positive Lippenstufe. Bei normal großem Unterkiefer entsteht der Eindruck einer Prognathie (Pseudoprogenie).
Therapie:
Folgende Operationen werden angewandt:
Die Le-Fort-I-Osteotomie (Wassmund, Axhausen, Tessier, Obwegeser) ist das gebräuchlichste Verfahren zur Mobilisation und Vorverlagerung des Oberkiefers. Nach der Osteotomie wird der Oberkiefer mit Hilfe des Bissschlüssels in Okklusion mit dem Unterkiefer gebracht und durch Miniplattenosteosynthese an den Jochbeinpfeilern und an den seitlichen Rändern der Apertura piriformis stabilisiert. Zwischen dem Processus pterygoideus und dem Oberkieferfragment wird Rippenknochen eingelagert.
Bei der Le-Fort-I-Osteotomie geht in der Regel die Sensibilität der Oberkieferzähne verloren, weil die zuführenden Nerven durchtrennt werden. Die Vitalität bleibt jedoch erhalten. Die Sensibilität kehrt in den meisten Fällen nach einigen Wochen zurück.
Bei der Le-Fort-III-Osteotomie (Gillies, Tessier, Obwegeser) wird das gesamte Mittelgesicht nach vorn verlagert.
Der Eingriff ist indiziert bei traumatisch bedingter Rückverlagerung des Mittelgesichts (dish face) oder bei den mit Mittelgesichtshypoplasien einhergehenden Fehlbildungssyndromen (Crouzon, Apert, siehe Kraniofaziale Fehlbildungen).
Über extraorale Zugänge werden Osteotomien an der Nasenwurzel, im Nasenseptum, im Bereich der Orbita und im Jochbogen vorgenommen. Für die Osteotomie zwischen Tuber maxillare und Processus pterygoideus ist ein intraoraler Zugang erforderlich.
Nach vollständiger Mobilisation des Mittelgesichts wird die Okklusion mit dem Unterkiefer eingestellt. Zwischen Tuber maxillare und Processus pterygoideus, an der Nasenwurzel, an den seitlichen Orbitalrändern und an den Jochbögen wird Rippenknochen eingelagert.
Obwegeser empfiehlt zur leichteren Einstellung der Fragmente eine zusätzliche Le-Fort-I-Osteotomie.
Die Stabilisierung wird durch Miniplattenosteosynthesen an den Osteotomiestellen vorgenommen.
Neuerdings werden hierfür auch resorbierbare Platten und Schrauben aus Poly-Glykolsäure Lactosorb) verwandt, die nicht entfernt zu werden brauchen.
Durch Aufbauplastiken lässt sich ein hypoplastisches Mittelgesicht ebenfalls korrigieren:
Apertura piriformis und Orbitaränder können mit einem Knochenersatzmaterial aufgebaut werden. Die Nase kann durch Einlagerung eines L-förmigen Winkelspans aus autologem Rippenknorpel vorgebracht und vergrößert werden.
Eine Indikation für diese Aufbauplastiken besteht bei Fällen, bei denen durch kieferorthopädische Behandlung eine zufriedenstellende Okklusion erzielt werden konnte, während die kieferorthopädisch nicht zu beseitigende Hypoplasie des Mittelgesichts einer zusätzlichen Korrektur bedarf.
Eine Kallusdistraktion des Mittelgesichts kommt neuerdings bei symptomgebundenen Mittelgesichtshypoplasien (z.B. Apert- und Crouzon-Syndrom) in Betracht, bei der nach Osteotomie eine schrittweise Distraktion vorgenommen wird, wobei sich in den Spalträumen des Osteotomiebereiches Kallus bildet. Das Verfahren kann bereits im Kindesalter zur Anwendung kommen:
Nach Le-Fort-III-Osteotomie wird als Distraktionsgerät ein modifizierter Haloframe mit Hilfe von Miniplatten oder perkutan eingebrachten Haltedornen an den beiden Jochbeinmassiven und über der Nasenwurzel fixiert.
Nach einer Latenzphase von einigen Tagen beginnt dann die schrittweise vorgenommene Kallusdistraktion, bei der solange pro Tag 1 mm extendiert wird, bis eine optimale Okklusion erreicht ist. Je nach Ausmaß der Rücklage kann die Distraktion nach drei bis vier Wochen beendet werden. Danach wird noch eine achtwöchige Retentionsphase angeschlossen, in der die Umwandlung des Kallusgewebes in lamellären Knochen erfolgen kann.
Postoperativ ist eine regelmäßige kieferorthopädische Überwachung und gegebenenfalls Behandlung erforderlich.