Der Begriff Funktionsstörung des Kauorgans (Craniomandibuläre Dysfunktion oder kurz CMD) wird als Sammelbegriff für zahlreiche Krankheitssymptome des Kiefergelenks, der Kaumuskulatur sowie der dazugehörigen Strukturen verwendet. Diese Symptome können sehr unterschiedlich sein und Schmerzen, Geräusche oder Beeinträchtigungen des Kauvermögens beinhalten: Bei einem Patienten knackt der Kiefer, der andere bekommt den Mund nicht mehr richtig auf oder zu, der nächste verspürt Schmerzen beim Kauen oder hat knirschende Gelenke. Darüber hinaus können jedoch auch weitere Symptome auftreten, die auf den ersten Blick scheinbar nichts mit dem Kauorgan selbst zu tun haben. Hierzu zählen etwa Tinnitus und Ohrenschmerzen sowie ausstrahlende Schmerzen im Kopf, den Schultern oder im Nacken. Gerade weil nicht alle Symptome sich eindeutig zuordnen lassen, erfolgt die Diagnose und Behandlung oftmals interdisziplinär gemeinsam mit Orthopäden, Hals-Nasen-Ohren-Ärzten oder Neurologen.
Der Kauapparat ist ein hochkomplexes System, das sich aus dem präzisen Zusammenwirken von Kaumuskeln, den Kiefergelenken sowie zahlreichen Bändern und Gelenkkapseln zusammensetzt. Das Kiefergelenk besteht dabei aus dem Gelenkkopf und der Gelenkpfanne. Als Puffer sitzt in der Mitte eine Knorpelscheibe, der Diskus, zusätzlich wird das Gelenk von der Gelenkflüssigkeit „geschmiert“, um reibungslos funktionieren zu können.
Im gesunden Zustand befindet sich die Kaumuskulatur die meiste Zeit des Tages in Entspannung. Die Zähne kommen beim Kauen oder Schlucken jeweils nur für Sekundenbruchteile in Kontakt zueinander – insgesamt nicht mehr als etwa 15 Minuten pro Tag. Durch das durch Stress verursachte unbewusste Zusammenpressen der Kiefer oder Zähneknirschen (Bruxismus) werden zum einen die Zähnen stark beansprucht, zum anderen fehlt dem Kiefergelenk die Entspannungsphase. Die Folge sind „steife“ oder schmerzende Kiefergelenke und eine verstärkte Abnutzung des Zahnschmelzes und der Zahnhartsubstanzen. Weitere Ursachen können beispielsweise die dauerhafte Fehlhaltung des Kopfes am Arbeitsplatz sein, permanentes Kauen auf den Fingernägeln oder auch etwa ein Unfall oder Schlag auf den Kiefer. Darüber hinaus können auch Zahnfehlstellungen zu einem schiefen Biss und somit Kiefergelenkerkrankungen führen. Studien zeigen, dass nahezu jeder zehnte Mensch von Störungen des Kauorgans betroffen ist, wobei nur bei drei bis fünf Prozent eine Behandlung notwendig ist. Am häufigsten betroffen sind Frauen zwischen 15 und 45 Jahren.
Knackender Kiefer: Dieses Symptom zeigt sich häufig als Folge von Bruxismus (Zusammenpressen der Kiefer oder Zähneknirschen). Im gesunden Zustand sorgt die Knorpelscheibe zwischen Gelenkkopf und -pfanne für eine natürliche Federung. Wenn der Kiefer knackt, rutscht der Gelenkkopf beim Schließen des Mundes von der Knorpelscheibe herunter, wird blockiert und springt bei der nächsten Kaubewegung mit dem knackenden Geräusch wieder über den Knorpelrand.
Mund lässt sich nicht mehr schließen oder öffnen: Lässt sich der Mund nicht mehr richtig schließen, ist oftmals eine besonders gedehnte Gelenkkapsel verantwortlich. Beim Öffnen des Mundes kann der Gelenkkopf aus der Gelenkpfanne herausrutschen und sollte – wenn er nicht wieder eigenständig hereinrutscht – vom Zahnarzt eingerenkt werden. Wenn sich der Mund nicht mehr vollständig öffnen lässt, kann dies muskuläre Ursachen haben, z.B. stark angespannte Kaumuskeln oder eine Reaktion nach langem Offenhalten des Mundes. Auch gelenkspezifische Schädigungen können Auslöser für dieses Symptom sein: Wenn der Gelenkkopf beim Schließen des Kiefers von der puffernden Knorpelscheibe (Diskus) abrutscht und nicht mehr selbstständig wieder aufspringt (siehe knackender Kiefer), wird das Öffnen des Mundes blockiert.
Geräusche im Ohr: Viele Patienten mit einer craniomandibulären Dysfunktion klagen über Tinnitus oder Ohrgeräusche. Die Zusammenhänge sind zwar noch nicht genau geklärt, es empfiehlt sich jedoch die interdisziplinäre Zusammenarbeit, da in manchen Fällen auch eine Behandlung des Kauorgans zur Beseitigung der Beschwerden beiträgt.
Schmerzen im Kopf, Nacken und den Schultern: Eine überlastete und verspannte Kaumuskulatur kann zu Schmerzen im gesamten Kopfbereich führen. Dies betrifft nicht nur die direkte Umgebung der Kiefergelenke wie etwa die Wangen und Schläfen, da die Schmerzen weit ausstrahlen können. So können sie sich auch bis in den Nacken und Schulterbereich ziehen. Anhaltende oder wiederkehrend auftretende Schmerzen, die sich nicht genau zuordnen lassen, sollten deshalb auch von einem CMD-Therapeuten untersucht werden.
Schmerzen beim Kauen: Wenn die Kiefer beim Ausführen ihrer eigentlichen Funktion, dem Kauen, schmerzen, liegt das meist daran, dass die Muskulatur überlastet ist. Diese Überlastung erfolgt in der Regel durch Zähneknirschen oder Pressen oder anderen nicht natürlichen Verhaltensweisen (z.B. dauerhaftes Nägelkauen), wodurch die Kiefermuskulatur zu wenig Zeit zur Entspannung bzw. Regeneration hat. Häufig helfen hier schon ein wenig Selbstbeobachtung und Entspannungsübungen, damit sich der Kauapparat erholen kann.
Knirschendes Kiefergelenk: Dies kann ein Zeichen von Arthrose sein. Dabei werden die schützenden Knorpelschichten abgebaut und keine Gelenkflüssigkeit zur Schmierung mehr produziert. Die Folge ist ein knirschendes Reiben der Gelenke aufeinander. Ursache hierfür kann die Überbeanspruchung des Kauorgans oder gerade bei älteren Menschen eine Folge mangelnder Flüssigkeitszufuhr sein.
Die Diagnostik gliedert sich in drei Bereiche auf: Zuerst erfolgt die klinische Funktionsanalyse, bei Bedarf gefolgt von der manuellen Strukturanalyse und abschließend selten noch eine instrumentelle Funktionsanalyse.
Bei der klinischen Funktionsanalyse werden durch den geschulten Therapeuten mittels Beobachtung, Abtasten, Hören und Bewegungsversuchen die Funktionsstörungen ermittelt. Dies erfolgt ohne weitere Instrumente und ermöglicht meist bereits eine differenzierte Diagnose.
Sofern eine Funktionsstörung des Kauapparates vorliegt, erfolgt bei Bedarf die manuelle Strukturanalyse, bei der genaue Muskelüberlastungen und Störungen der Gelenkstrukturen identifiziert werden. Auch auf die Hauptursache von Kieferstörungen, dem Stress, wird näher eingegangen.
Die instrumentelle Funktionsanalyse kann abschließend helfen, die Diagnose bei Bedarf weiter zu präzisieren. Hierzu werden detaillierte individuelle Zahnmodelle erstellt und in einem Kausimulator montiert, so dass die Kaubewegungen exakt vermessen werden können. Zudem können gesonderte Messgeräte die Kiefergelenkstellung messen, den Zusammenhang zwischen Zahnfehlstellungen und Schmerzen verdeutlichen sowie Röntgen- oder MRT-Aufnahmen die Diagnose unterstützen.
Die Behandlung von Störungen des Kauapparates kann unterschiedliche Maßnahmen beinhalten. Ein wichtiger Bestandteil ist die Aufklärung des Patienten über Ursachen und Hintergründe der Beeinträchtigung. So informiert, schärft der Patient seine Selbstwahrnehmung und kann bei durch Stress hervorgerufenen Störungen mit Entspannungsübungen eigenständig die Symptome lindern. Denn bewusste Stressbewältigung und der Abbau von Spannungen sind effektive Maßnahmen gegen Bruxismus. Ein weiteres wirkungsvolles Mittel ist die Schienentherapie. Diese Beißschienen schützen die Zähne vor Abnutzungserscheinungen durch das Pressen oder Knirschen und tragen zudem zur Entspannung der Kiefermuskulatur bei. Aufwendigere und individuell angepasste Schienen können darüber hinaus auch die Bisslage korrigieren. In der Regel (z.B. bei nächtlichem Bruxismus) wird die Schiene nur nachts getragen, lediglich bei besonders akuten Fällen, etwa wenn auch tagsüber mit den Zähnen geknirscht wird oder die Gelenke betroffen sind, sollte der Patient sie ganztags tragen.
Begleitet werden kann die Behandlung bei akuten Schmerzen durch schmerzstillende Medikamente. Auch physiotherapeutische sowie wärme- und kältetherapeutische Maßnahmen können dem Patienten helfen, Schmerzen zu verringern und einen langfristig gesunden Kauapparat zu erlangen.
Viele offensichtliche Symptome wie knackende Kiefergelenke oder Schmerzen beim Kauen deuten auf eine Störung des Kauapparates hin. Darüber hinaus kann diese Störung aber auch Ursache für nicht direkt zuzuordnende Symptome wie dauerhafte Kopfschmerzen oder Ohrgeräusche sein. Hier empfiehlt sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit des auf craniomandibuläre Dysfunktionen (CMD) spezialisierten Zahnarztes mit anderen Ärzten wie HNO-Ärzten, Orthopäden oder Neurologen. Die Mehrzahl der auftretenden Symptome entstehen durch stressbedingtes Zusammenpressen der Kiefer oder nächtliches Zähneknirschen. In diesen Fällen hilft meistens schon die Therapie mit einer Aufbissschiene und das Erlernen einer aktiven Stressbewältigung.